Karsamstag, 11.04.

Die Grablegung (Lk 23, 50-56)

Und sieh doch: Zu den Mitgliedern des jüdischen Rates gehörte ein Mann mit Namen Josef.

Er lebte vorbildlich und hielt Gottes Gebote.

Mit den Beschlüssen und dem Vorgehen des jüdischen Rates war er nicht einverstanden gewesen.

Josef kam aus Arimathäa, einer Stadt in Judäa.

Er wartete darauf, dass Gott sein Reich in der Welt anbrechen lässt.

Josef ging zu Pilatus und bat ihn um den Leichnam von Jesus.

Dann nahm er ihn vom Kreuz ab, wickelte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in eine Grabkammer.

Die war in einen Felsen gehauen und es hatte noch niemand in ihr gelegen.

Das geschah am Vorbereitungstag, unmittelbar vor Beginn des Sabbats.

Die Frauen, die zusammen mit Jesus aus Galiläa gekommen waren, gingen Josef nach.

Sie sahen die Grabkammer und beobachteten, wie der Leichnam hineingelegt wurde.

Dann kehrten sie in die Stadt zurück und bereiteten wohlriechende Öle und Salben vor.

Aber den Sabbat verbrachten sie in Ruhe, wie das Gesetz es vorschreibt.

***

Die Grablegung, Altarbild der ev.-luth. Kirche in Loquard
Josef von Arimatäa hält Jesu Leichnam im Arm
Unter ihnen kniet Maria Magdalena.
Foto: Dr. M. Sohn

Er sieht so anders aus. Er ist noch der Mann, den ich kannte. Dem ich gefolgt bin. Dessen Worte meinem Leben einen neuen Sinn gaben. Er sprach von Vergebung, Liebe und seinem Glauben an Gott. Und nun sind seine Lippen so still. Er schweigt für immer. Er ist tot.

Mein Name ist Maria Magdalena. Und ich bin…war… eine seiner Schülerinnen. Er ist gestorben. Am Kreuz. Vor ein paar Stunden erst. Ich habe es beobachtet. Aus weiter Ferne nur. Ich konnte nicht dabei sein. Und fühle mich nun so schuldig. Er war für mich da und als er mich brauchte, konnte ich es nicht ertragen bei ihm zu sein. Ich wünschte, ich hätte meine Hand ausstrecken können…ihn berühren können…ihn spüren lassen, dass er nicht alleine ist.

Aber ich war zu weit weg. Sein Kopf sank auf seine Brust. Seine letzten Worte hallten den Berg hinunter. „Es ist vollbracht.“ Er starb. Ein Riss ging durch die Welt und mein Herz. Nie wieder wird es sein wie früher…

Nie wieder wird er so sein wie früher…

Er, der Menschen berührte. Mit seinen Worten, seinen Händen. Der die berührte, die niemand sonst anfassen wollte, denen niemand sonst Beachtung schenkte … er selbst liegt nun in den Armen eines mutigen Mannes. So viel mutiger als ich es war…

Er sieht so anders aus. Ganz Mensch. Das innere Feuer, dass ihn früher leuchten ließ, wenn er zu den Menschen sprach oder zu Gott, ist erloschen. Seine Haut ist blass und grau. Seine Augen leer.

Der Anblick seiner Wunden tut mir weh. Als wären es meine eigenen.

Aber er fühlt sie nicht mehr. Es ist vollbracht. Es ist zu Ende. Endlich. Sein Leiden ist vorbei. Keine Qual mehr, keine Schmerzen. Nur noch Stille. Für ihn. Auch, wenn mir der Schmerz die Kehle zuschnürt.

Sie tragen ihn. Stützen ihn. Sie lassen ihn nicht allein. Und endlich traue ich mir näher ran. Wir waren uns mal so nah. Doch jetzt trennt uns mehr als Ort und Zeit.

Wir machen uns auf den Weg. Zu seinem Grab. Der trennende Tod. Er ist nicht mehr da. Sein Körper nur eine Hülle. Vergänglich wie wir alle. So normal. So menschlich. Und doch fühlt es sich an, als würde er mir nun ganz genommen. Seine Stimme werde ich nicht mehr hören. Seine segnenden Hände nie mehr fühlen. Und nun sein Gesicht nie mehr sehen.

Schritt für Schritt. Ich muss mich daran erinnern, so dass ich diesen Weg zu Ende gehen kann. So wie er. Er wusste was passiert. Hat uns davon erzählt. Und trotzdem ist er nach Jerusalem gegangen. Hat sich festnehmen lassen…hat sich das Leben, dass er liebte, nehmen lassen.

Für uns. Hat er gesagt. Der Gedanke ist zu schrecklich, zu groß, um ihn zu fassen.

Keiner spricht auf unserem Weg. Die Steine unter unseren Füßen liegen auch felsenschwer auf unseren Seelen. Frauen sind da. Maria. So stark. Stärker als ich. Stärker als wir alle. Sie geht diesen Weg mit ihrem Sohn.

Wir sind am Grab. Sie sind so vorsichtig mit ihm. Er hat es nicht anders verdient. Sie waschen ihn. Waschen die Spuren, die die Römer an seinem Körper hinterlassen haben weg. Nur die Wunden. Sie sind da. Sie verbinden sie. Lassen sie vor meinen Augen verschwinden. Er sieht immer noch so anders aus. Kein Leuchten.

Sie salben ihn. Vorsichtig. Wickeln ihn in das Tuch. Die leere Kammer wartet. Dunkel. Kalt. Sie entreißt ihn mir noch mal.

Sei mutig. Sei stark. Das hat er gesagt. Ich strecke meine Hand aus, sehe ihn ein letztes Mal an, sein Gesicht verschwimmt vor meinen Augen….

Der Stein rollt vor das Grab. Wir alle haben ihn verloren.

Maria Magdalena , Loquarder Altarbild, Foto: Dr. M. Sohn

Sei mutig. Sei stark. Das habe ich von ihm gelernt. Mein Name ist Josef. Ich bin ein angesehener Mann. Ein Mitglied der oberen Jerusalemer Gesellschaft. Mitglied des Gerichts. Ich war feige. Das gestehe ich. Schon lange folgte ich Jesus aus Nazareth und hörte seine Botschaft.

Sie forderte mich heraus. Meine Art zu denken. Meine Art zu leben. Doch ich tat so, als wüsste ich von nichts. Als würde ich nicht diesen Funken spüren, den er in mir entzündet hat.

Doch heute musste ich etwas tun. Denn dieser Funke brannte plötzlich heiß. Vor Wut. Vor Schmerz. Vor Traurigkeit. Als ich ihn beobachtete. Das Kreuz auf der Schulter. Dann der Berg. Die Schreie, die Schmerzen. „Es ist vollbracht.“ Seinen Tod.

Woher dieser Drang kam plötzlich zu meinem Glauben an ihn und sein Bild von Gott zu stehen – ich weiß es nicht. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Sein Tod sollte mir eigentlich zeigen, dass es nicht wahr ist, was die Leute über ihn sagten…dass er nicht Gottes Sohn ist. Er ist ein Mensch. Verletzlich. Sterblich. Tot.

Aber vielleicht ist es gerade das, was mich jetzt handeln lässt. Er ist ein Mensch. Wie du und ich. Und er hat diese Verurteilung und diese Folter, diesen Tod am Kreuz nicht verdient. Liebe deinen Nächsten… das hat er gepredigt. Und das stimmt. Das fühle ich in mir. Das will ich jetzt leben. Auch, wenn er tot ist. Seine Idee bleibt weiter in mir.

Er hat es verdient, dass jemand seinen Mund für ihn aufmacht, jetzt wo er es nicht mehr kann. Das jemand ihn trägt, wo er selbst kraftlos und schutzlos ist. Ich werde ihn nicht dem Wetter und den Geiern überlassen.

Also stehe ich zu ihm und spreche für ihn. Ich habe ein Grab gekauft. Direkt am Berg. Es sollte einmal meins werden. Nun wird es seins.

Es war nicht einfach den Schritt zu den Römern zu machen. Doch ich habe die Erlaubnis bekommen ihn zu begraben. Sie leugnen es, aber ich glaube, sie haben es auch gespürt. Das er anders ist. Etwas Besonders. Jemand mit tiefem Glauben. An Gott. Den er Vater nannte. So dass er diesen Weg ging. Für ihn. Für uns. Wie man flüstert. In den Tod.

Mal werde ich diesen Weg auch gehen müssen. Aber jetzt gehe ich ihn für Jesus. Ich trage ihn. Ihn, dessen Worte mich so berührt haben. Ich trage ihn vorsichtig. Liebevoll. Wie um die Schmerzen, die er leiden musste, wieder gut zu machen. Ungeschehen zu machen. Als ob ich dafür um Vergebung bitte.

Wir sind am Grab. Die Frauen weinen. Die Männer schweigen. Ihre Gesichter sind grau vor Traurigkeit. Sein Gesicht ist entspannt. Sie stemmen sich gegen den Stein. Rollen ihn vor die Grabkammer.

Eine seiner Schülerinnen fällt auf die Knie…streckt die Hand aus…nach ihm. Unerreichbar weit weg… Ich fühle noch immer sein Gewicht in meinen Armen. Seine kalte Haut an meiner.

Und in mir brennt es hell. Er ist tot. Aber seine Worte werden durch mich weiter leben. Er war besonders. Mehr als ein Mensch. Daran glaube ich. Darauf hoffe ich. Und niemals werde ich das verlieren…

Josef von Arimathäa, Loquarder Altarbild, Foto: Dr. M. Sohn

Hinterlasse einen Kommentar

Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten