Ostermontag, 13.04.

„Ich bin als Licht in die Welt gekommen…“

Vom Glauben (Joh 20, 24-29)

Thomas, der auch Zwilling genannt wird, gehörte zum Kreis der Zwölf.

Er war jedoch nicht dabei gewesen, als Jesus gekommen war.

Die anderen Jünger berichteten ihm: »Wir haben den Herrn gesehen!«

Er erwiderte: »Erst will ich selbst die Löcher von den Nägeln an seinen Händen sehen.

Mit meinem Finger will ich sie fühlen. Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen. Sonst glaube ich nicht!«

Acht Tage später waren die Jünger wieder beieinander. Diesmal war Thomas mit dabei.

Wieder waren die Türen verschlossen. Da kam Jesus noch einmal zu ihnen.

Er trat in ihre Mitte und sagte: »Friede sei mit euch!«

Dann sagte er zu Thomas: »Nimm deinen Finger und untersuche meine Hände.

Strecke deine Hand aus und lege sie in die Wunde an meiner Seite.

Du sollst nicht länger ungläubig sein, sondern zum Glauben kommen!«

Thomas antwortete ihm: »Mein Herr und mein Gott!«

Da sagte Jesus zu ihm: »Du glaubst, weil du mich gesehen hast.

Glückselig sind die, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!«

Himmel über Emden, März 2020

Von Pilatus an seinen lieben Titus

Also, was habe ich gesehen? Nichts. Was habe ich verstanden? Auch nichts, außer daß etwas sich meinem Verständnis entzogen haben könnte. Im Fall Jeschua habe ich draum gekämpft, die Vernunft vor dem Mysterium zu retten, koste es, was es wolle…

…Ich habe begriffen, daß das Unbegreifliche existiert. Das hat mich ein bißchen weniger arrogant gemacht, ein bißchen weniger ignorant. Ich habe ein paar Gewißheiten eingebüßt: die Gewißheit, mein Leben zu meistern, die Gewißheit, die Menschen zu kennen. Aber was habe ich gewonnen?… Vorher war ich ein wissender Römer, jetzt bin ich ein zweifelnder Römer. Dann lacht Claudia und klatscht in die Hände, als hätte ich vor ihr die Nummer eines Jongleurs abgezogen.

‚Zweifel und Glauben sind dasselber, Pilatus. Nur Gleichgültigkeit ist gottlos.’…

…Dieser Glaube ist einfach zu anstrengend. Zur Zeit verlangt er zwar keinen Kult wie die griechischen oder römischen Glaubensriten, aber er treibt die Seele um, dass sie sich fast verzehrt.

Deshalb meine ich, daß er keine Zukunft hat. Das habe ich Claudia schon oft erklärt: Erstens ist diese Religion am falschen Ort entstanden; Palästina ist ein ganz kleines Land, das heute in der Welt keine Bedeutung und keinen Einfluß hat.

Zweitens hat Jeschua außer Johanaan nur Analphabeten unterrichtet, tumbe Fischer vom See Genezareth, die nur Aramäisch, kaum Hebräisch und ein paar Worte Griechisch sprechen.

Was wird aus der Geschichte werden, wenn die letzten Zeugen tot sind?

Jeschua hat außer ein bißchen Gekritzel in Sand oder Wasser nie etwas Schriftliches verfasst, seine Schüler auch nicht. Ob er wenigstens lesen konnte?

Sein größter Fehler aber war, daß er zu früh gegangen ist; er hat sich zuwenig Zeit genommen, um genügend Leute zu erreichen, vor allem wichtige Leute. Warum ging er nicht nach Athen oder Rom? Warum hat er nicht einmal das Land verlassen?

Wenn er Gottes Sohn ist, wie er behauptet, warum bleibt er dann nicht für immer? Und überzeugt uns? Und führt uns zum wahren Leben? Wenn er sich auf ewig hier niederlassen würde, würde kein Mensch mehr an seiner Botschaft zweifeln.

Meine Überlegungen erheitern Claudia immer ungemein. Jeschua habe nicht den geringsten Grund, sich hier niederzulassen, meint sie. Es reicht, dass er einmal gekommen ist. Er darf nicht zu viele Beweise liefer. Wenn er sich ganz selbstverständlich zeigen würde, würde er damit die Menschen zum Kniefall zwingen. Er aber hat die Menschen frei gemacht. Und trägt dieser Freiheit Rechnung, indem er uns die Wahl läßt, zu glauben oder nicht zu glauben.

Kann man zur Zustimmung gezwungen werden? Kann man zur Liebe gezwungen werden? Nein, man muß es wollen, man muß bereit sein für den Glauben wie für die Liebe.

Jeschua achtet die Meschen. Er gibt uns durch seine Geschichten Zeichen, aber die Deutung überläßt er uns. Er schätzt uns zu sehr, um uns zu bedrängen. Aus Respekt gibt er und Grund zu zweifeln. Freiheit der Wahl ist der andere Name seines Geheimnisses…

Von Postskriptum

Heute morgen habe ich Claudia – … – gegenüber behauptet, daß es nur eine einzige Generation von Christen geben wird: diejenigen, die den wiederauferstandenen Jeschua gesehen haben. Ihr Glaube wird mit ihnen erlöschen, wenn man dem letzten Greis, der das Gesicht und die Stimme des lebenden Jeschua noch im Gedächtnis hat, die Augen zudrückt.

‚Ich werde als nie ein Christ sein, Claudia.‘, sagte ich.

‚Denn ich habe nichts gesehen, ich habe versagt, ich bin zu spät gekommen. Wenn ich glauben wollte, müßte ich zuerst den Zeugnissen der anderen glauben.‘

Und weißt Du, was sie mir darauf geantwortet hat?

‚Dann bist du vielleicht der erste Christ.‘ „

Aus: Das Evangelium nach Pilatus – Erich- Emmanuel Schmitt

Sonnenaufgang in Emden, April 2020

Mit diesem Eintrag endet der Osterkalender.

Gott segne Sie und behüte Sie.

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